Ikonografie

 

Bilderrätsel und Rätselbilder

 

Charlotte Auer

16.Januar 2017

 

Von allen Eigenartigkeiten des Voynich Manuskripts werden die scheinbar rätselhaften Zeichnungen außerirdisch anmutender Pflanzen, fröhlich badender Nymphen in bizarren Röhrensystemen und geheimnisvoller Horoskope und Sphären am häufigsten diskutiert. Die daraus resultierenden Überlegungen sind meistens nicht weniger befremdlich als das Manuskript selbst. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn solange die Schrift nicht entziffert ist, bleibt dies der einzige Zugang zu einem möglichen Verständnis der Handschrift.

 

Selbstverständlich sind komparative Methoden ein wesentlicher Bestandteil der wissenschaftlichen, ikonografischen Erschließung einer Handschrift - vor allem dann, wenn die textlichen Informationen für eine eindeutige Zuordnung zu dürftig sind. Im Falle des Voynich Manuskripts sind diese Informationen nicht nur dürftig, sondern so gut wie nicht vorhanden. Deshalb können ikonografische Spekulationen ja auch die schönsten Blüten treiben und gelegentlich ziemlich wild ins Kraut schießen.

 

Für die Interpretation der Illustrationen des Voynich Manuskripts ergeben sich damit ein paar interessante Fragen. Warum eigentlich sollte die Bilderwelt dieser Handschrift etwas anderes darstellen als das, was zum damaligen Zeitpunkt am Ort ihrer Entstehung als vertraute Realität empfunden wurde? Wohl gemerkt, es gibt keinerlei Hinweise auf Religion oder Mystik, keinerlei Überhöhung einzelner Figuren und vor allem keine Darstellung von Strafe, Fegefeuer und Verdammnis. Auch fehlt den Zeichnungen jede Art von moralisch-belehrendem Charakter, finsterer Drohungen oder auch Frivolität . Die Bilderwelt des Voynich Manuskripts ist trotz all der nackten Damen in keiner Weise anzüglich, sondern im Gegenteil ausgesprochen heiter und verspielt.

 

Die meisten der krampfhaften, bisweilen sogar obsessiven Versuche, den Codex über – teilweise wirklich an den Haaren herbei gezogenen - Bildvergleiche zeitlich und räumlich einzuordnen, müssen schon alleine deshalb daneben gehen, weil es in der Fülle mittelalterlicher Handschriften zwangsläufig sehr viele Darstellungen gibt, die eine oberflächliche Ähnlichkeit mit denen des Voynich Manuskripts aufweisen. Hier wird allzu gerne vergessen, dass sich auch in der Buchkunst des Mittelalters bereits Stile und Moden entwickelt haben, die nach und nach weite Verbreitung fanden und die mit der stark zunehmenden Anzahl von Codices auch eine Zunahme von Ähnlichkeiten in der Darstellung zur Folge hatten. Dennoch gibt es stilistische Merkmale, die sich typisieren, einordnen oder zum Beispiel einer bestimmten Malschule oder Werkstatt zuordnen lassen. Eines dieser Beispiele ist die äußerst produktive Buchwerkstatt des Diebold Lauber in Hagenau (1), deren Handschriften so charakteristisch sind, dass sie für die Fachwelt quasi auf den ersten Blick zu identifizieren sind.

 

Es dürfte einleuchtend sein, dass man eine nackte Nymphe in einem Badezuber nicht direkt mit einer Marienfigur vergleichen kann, sondern allenfalls deren stilistischen Eigenheiten oder Unterschiede, die auf eine bestimmte Entstehungszeit oder einen Ort schließen lassen. Für mich, die ich die Entstehung der Handschrift auf der Burg Runkelstein bei Bozen vermute, ist es also sinnvoll, die Suche nach vergleichbaren Bildern auch dort zu beginnen. Wobei ich hier ausdrücklich anmerken sollte, dass die ikonografische Analyse nicht der Schwerpunkt meiner Arbeit ist. Um das Manuskript zu verstehen, ist die Erschließung der Bildinhalte trotzdem unverzichtbar.

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Codex Buranus

Codex Manesse

Bei den im 13. Jhd. und früher enstandenen Carmina Burana (Codex Buranus, BSB Clm 4660, Quelle: Bayerische Staatsbibliothek) ging man lange davon aus, dass das Kloster Benediktbeuren nicht nur Fundort, sondern auch Entstehungsort der Liedersammlung war. Die neuere Forschung sieht die Entstehung im südlichen bairischen Sprachraum und verweist insbesondere auf das Kloster Neustift bei Brixen, das unweit von Bozen gelegen ist. Auch der im frühen 14. Jhd. in Zürich entstandene Codex Manesse (Cod. Pal. Germ. 848, Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg) ist dem Alpenraum zuzordnen. Die Ähnlichkeiten der Darstellungen sind nicht zufällig, sie lassen sich vielmehr durch die relativ späte Entwicklung des gotischen Stils in den Alpenländern und somit auch in der Buchmalerei dieser Region erklären.

Schon bei einer eher flüchtigen Betrachtung fällt auf, dass die fast ausschließlich weiblichen Figuren im Voynich Manuskript in keiner Weise dem gotischen Ideal des Manierismus entsprechen, sondern recht kurzbeinig und gedrungen daher kommen. Angesichts der Vielzahl der Frauen, die den Codex bevölkern, hat das fast schon so etwas wie eine humoristische Qualität. Davon abgesehen ist es aber auch ziemlich realistisch, denn es unterstreicht klar den profanen Charakter eines persönliches Notizbuchs, bei dem auf künstlerische Raffinesse keinerlei Wert gelegt wurde.

 

Im Folgenden will ich versuchen, anhand ausgewählter Illustrationen der Handschrift zu belegen, dass die Bildinhalte des Voynich Manuskripts nicht nur weitestgehend zur alpenländischen Ikonografie des frühen 15. Jhd. passen, sondern darüber hinaus auch einen verblüffenden (und wie mir scheint, sehr direkten) Bezug zur Bilderwelt der Burg Runkelstein haben.

 

Wird fortgesetzt...